Sebastian Naderer | 08.09.2021
Wie ticken Kunden, Mitarbeiter oder Investoren? Die Lösung werden Sie dabei ganz sicher nicht in linearen Antworten finden. Wollen Sie hierfür intelligente Antworten finden, dann müssen Sie die Sprache ihrer Stakeholder sprechen. Das klingt zunächst einmal nach einer ziemlichen banalen und „abgedroschenen“ Binsenweisheit, doch steckt der „Teufel“ hier tatsächlich im Detail, oder treffender formuliert: in der Komplexität & Relationalität.
Will es uns gelingen die Gedanken bedeutender Stakeholder zu vermessen oder „zu lesen“, so müssen wir hierzu keine Hellseher sein, wir müssen diese Personen noch nicht einmal persönlich kennen. Bevor ich Sie an dieser Stelle mit komplexen wissenschaftlichen Definitionen langweile oder zum Wegklicken animiere, möchte ich meine einführende Erklärung mit einem ganz simplen Gedankenexperiment beginnen:
Schließen Sie hierfür zunächst einmal ihre Augen und denken Sie an ihr erstes Auto. Lassen Sie ihre Gedanken ruhig etwas „baumeln“ und schreiben Sie im Anschluss nieder, welche Gedanken Ihnen im Kontext dieses Konzeptes entgegentreten. Sie werden dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Begriffen entlang unterschiedlicher Lebensbereiche (z.B. Finanzsituation, Urlaub, Beziehung, Arbeit etc.) stoßen, die blitzartig und assoziativ mit dem Konzept „mein erstes Auto“ in Erscheinung treten. Haben Sie dieses Gedankenexperiment erst einmal befriedigend abgeschlossen und eine Begriffsliste erstellt, dann sind Sie bereits inmitten eines der zentralsten Phänomene der kognitiven Linguistik: dem mentalen Modell bzw. dem Frame.
Mentale Modelle bzw. Frames repräsentieren ein ganz bestimmtes Beziehungssystem von Begriffen, die uns im Kontext einer spezifischen (Handlungs-)Situation in den Sinn treten. Dabei kommt es zu einer ganzheitlichen Aktivierung aller assoziativ verbundenen Attribute. Sie rufen diese Begriffe also nicht Schritt für Schritt auf, sondern es kommt vielmehr zu einer ganzheitlichen und gleichzeitigen Aktivierung all dieser Terme. Dabei handelt es sich nicht nur um bloße Wörter im eigentlichen Begriffssinn, sondern vielmehr auch um Wahrnehmungen und Gefühle bzw. Emotionen. Rufen Sie sich etwa ihre erste Beziehung in Erinnerung. Dabei könnte Ihnen etwa der Duft des Parfüms ihres Freundes oder ihrer Freundin in den Sinn kommen oder aber auch die negativen Gefühle, die mit der Trennung verbunden waren bzw. kognitiv nach wie vor eingeschrieben sind. Für die kognitive Linguistik sind nun alle diese Assoziationen Teil ihres mentalen Modells bzw. Frames zur Situation „meine erste Beziehung“. Habe ich also vorab etwas floskelhaft davon gesprochen, dass sie die Sprache ihrer Stakeholder sprechen müssen, so habe ich damit gemeint, dass sie eben auch die individuelle Situation ihrer Kunden oder Mitarbeiter im Kontext eines bestimmten Produktes oder Unternehmens sehr genau kennen müssen.
Sind Sie mir bis an diese Stelle gefolgt, dann können Sie auch den viel und oftmals falsch in Verwendung gebrachten Begriff „Big Data“ richtig deuten. Denn das Potential dieses „Buzzwords“ entfaltet sich nicht in der Größe der Daten, sondern vielmehr darin vielschichtige, relationale und damit ganzheitliche Einblicke auf ein bestimmtes Phänomen zu nehmen. Ziehen wir zur besseren Nachvollziehbarkeit auch an dieser Stelle ein kurzes Beispiel in Verwendung:
Wollen wir etwa in Erfahrung bringen, welche „Gedanken“ unseren Kunden im Kontext des Begriffs „Abnehmen“ in den Sinn kommen, so könnten wir uns daran machen, wie ich dies etwa in meiner Dissertation gemacht habe, Millionen von Such- und Social-Media Daten zu vermessen, um das mentale Modell bzw. den Frame dieses Phänomens (induktiv) zu erschließen. So kompliziert die damit verbundenen Prozesse und Berechnungen auch sein mögen, das Resultat stellt nichts anderes dar, als ein (korrelatives) Beziehungsgeflecht an Konzepten bzw. Wörtern, die statistisch engmaschig miteinander verknüpft sind und in dieser Konsequenz auch in unserem Gehirn bzw. den neuronalen Bahnen konnektionistisch verbunden sind. Das was wir entlang von komplexen digitalen Daten sammeln und ausmessen, stellt also im Prinzip nichts anderes dar, als das was wir auch in unseren Gedanken vorfinden. Diese Form der mentalen Modellierung können wir nun entlang des Phänomens „Abnehmen“ durchführen und dabei zu folgendem Resultat gelangen:
Betrachtet man die Skizze, so können wir zunächst einmal die Feststellung treffen, dass das Thema „Abnehmen“, das den übergeordneten Diskursen „Ernährung“ und „Fitness“ zugeschrieben werden kann, semantisch nicht bei diesen Klammern stehen bleibt bzw. sich nicht auf diese Bereiche reduzieren lässt. So finden wir etwa mit den Termen „Erfolg“ oder „Dating“ zwei Begriffe vor, die in ganz anderen semantischen Regionen zu verorten sind und dennoch ganz prominent in den „Köpfen“ der KundInnen mit in Erscheinung treten. Bei diesen Relationen, die mit konventionellen Erhebungsinstrumenten (z.B. Umfrageforschung) nicht zu ermitteln sind, handelt es sich nicht um beiläufige Details oder unnützes Spezialwissen, sondern um lebensweltübergreifende Kontexte, die oftmals erst den wahren, verborgenen (latenten) Grund einer Handlung offenlegen. So macht es einen entscheidenden Unterschied, ob ich meine tägliche Laufroutine antrete, weil ich fit für meine beruflichen Herausforderungen sein möchte, oder mit einem attraktiven Erscheinungsbild meine neue Bekanntschaft zu beeindrucken versuche. Wir sind im Kontext der mentalen Modelle demnach gut beraten uns hinsichtlich der Kunden, Mitarbeiter oder Investorenkommunikation von linearen Vorstellungen zu verabschieden und uns mehr einem ganzheitlichen, konnektionistischen Verständnis zuzuwenden.
Vom Datum zum Wissen
Als gelernter, aber auch studierter Pragmatist muss ich an dieser Stelle die Frage aufwerfen, was uns diese Erkenntnisse im Alltag bringen? Gerade die Buzzwords #BigData und #KünstlicheIngelligenz sind in der Alltagsroutine nicht immer einfach anzuwenden. Oftmals bleibt es bei einem schönen Versprechen, einem wohlklingenden Projekt mit ein paar schönen KPIs. Ich weiß hier durchaus selbstkritisch von einem eigenen schmerzvollen Lernprozess zu berichten. Wollen wir die Potentiale dieser neuen Technologien und Anwendungen auch tatsächlich erschließen, so dürfen wir bei Daten(modellen) bzw. korrelativen Ergebnissen („Patterns“) nicht stehen bleiben. Wir müssen diese Erkenntnisse vielmehr zum Ausgangspunkt einer datengetriebenen Kunden- und Mitarbeiterinterkation machen.
Lassen Sie uns auch an dieser Stelle nicht lange „fachsimpeln“ und ein griffiges, wenn auch sehr simples Beispiel in Verwendung ziehen. Wollen wir etwa im Kontext einer gelungenen Finanzkommunikation zielgruppenspezifisches Vorwissen in Form mentaler Modelle in Verwendung ziehen, so sind wir gut beraten, unsere Kunden in ihrer GANZHEITLICHEN Lebensführung zu kennen und entlang spezifischer Wörter, die sich prominent diesen semantischen Regionen zuordnen lassen, zu triggern. Will es uns etwa gelingen Kundinnen, die sich für Kraftsport begeistern, dazu zu animieren sich (vermehrt) mit unseren Finanzangeboten auseinanderzusetzen, dann müssen wir die Produktwelt auch dementsprechend kontextualisieren:
Verstehen wir Marketing, Kommunikation und Sales im Kontext mentaler Modelle konnektionistisch (ganzheitlich), dann werden Sie an dieser Stelle womöglich nachvollziehen können, dass ich mich dafür ausspreche vom linearen Stakeholder-Management hin zu einem ganzheitlichen Life-Management zu evolvieren, bei dem wir mit Kunden, Mitarbeiter und Investoren nicht mehr linear, sondern relational interagieren.
Zum Autor
Dr. Sebastian Naderer ist Founder der datrion GmbH und forscht interdisziplinär auf den Themengebieten der Neurolinguistik, der Künstlichen Intelligenz sowie an Mensch-Maschine Schnittstellen und hat zahlreiche Publikationen im Kontext von Computational Social Science veröffentlicht. Im Rahmen seiner Dissertation ist es Naderer gelungen Millionen von Suchtermen entlang unterschiedlichster Lebenswelten (z.B. Arbeit, Finanzen, Ernährung, Fitness etc.) nachweislich miteinander zu relationieren und so ein ganzheitliches Datenmodell und damit interagierende Anwendungen zu erstellen.
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